Meinem Vater zum 100. Geburtstag. Fragen an einen, der den Krieg überlebt hat.

von Stef Manzini (Kommentare: 1)

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  • Mit 17 an die Front. Zuhause alles tot. Lebenswille verloren. Doch überlebt.
  • Die Bomben der Royal Air Force, und die russische Ärztin.
  • Eine Lebensgeschichte aus Deutschland, die sich wiederholt?

"Wenn es auf der Welt nur zwei Menschen gäbe, der eine in Amerika und der andere in Afrika, dann würde einer von beiden ein Boot bauen, den anderen suchen, und ihm auf den Kopf schlagen. So ist der Mensch“. (Rudolf-Wilhelm Schäfer, geboren 17. Juli 1924, gestorben 18. Dezember 2015)

Mein Vater, Rudolf-Wilhelm Schäfer, wäre am heutigen 17. Juli 100 Jahre alt geworden, und dies ist ein Teil seiner Geschichte:

Geboren in Wuppertal-Elberfeld, als zweitjüngstes von vier Kindern, erlebte mein Vater eine schöne und unbeschwerte Kindheit. Sein Vater war Rangiermeister bei der Bahn, und das Schönste in seinen Schulferien war für meinen Papa, wenn sein Vater ihn in einen Zug setzte, auf dem Weg zur Großmutter in Unna. Zeit seines Lebens sollte die Faszination für Dampflokomotiven ungebrochen bleiben. Einmal hatte mein Papa zu seinem Geburtstag sogar eine Dampfmaschine geschenkt bekommen, die hatte sein Vater mit einem Freund für ihn gebaut. Als die ihren Dampf aus dem Küchenfenster blies, wollte der Nachbar sogar die Feuerwehr rufen. "So gedampft hat die“, erzählte mir mein Vater oft, und dabei leuchteten seine Augen. Mein Papa stammte aus einem sozialdemokratischen Haus. Später, in Kriegszeiten, würde seine Mutter Butterbrotpakete in Zeitungspapier einwickeln, und in der Mülltonne deponieren. Für Kriegsgefangene, die diese Tonnen leerten. "Das war sehr gefährlich“, erklärte er mir. Mein Vater wurde zum Bau- und Möbeltischler ausgebildet, und sollte einmal die Lehrwerkstatt seines Lehrmeisters übernehmen. Die Tischlerei, samt Lehrmeister und dessen Ehefrau, sollte es nicht mehr geben, Jahre nach dem Krieg, als mein Vater aus der Gefangenschaft heimkehrte. Zerstörtes Leben. Zerstörte Hoffnungen.

"Als der Krieg aufzog, war es meinem alten Meister sehr wichtig, dass ich schnell meinen Abschluss machte, wer weiß, was noch auf uns zukommt, hat er gesagt“, erinnerte sich mein Vater noch gut. Auch daran, dass der jüdische Zahnarzt der Familie, es war der Verlobte der älteren Schwester meines Vaters, ihm noch schnell ein paar Plomben verpasst hatte. Der junge Zahnarzt sollte das KZ nicht überleben. Die Schwester meines Vaters überlebte den Krieg auch nicht. Mein Großvater, so erzählte mein Vater, hätte zu Beginn des Krieges, als die sechsköpfige Familie noch zusammen war, gesagt: "Jetzt kriegen wir ganz anständig die Hucke voll“. Mein Großvater, der Rangiermeister und Weltkriegsveteran, wurde nicht zum Kriegsdienst eingezogen. Er war auf dem Rangierbahnhof unentbehrlich.

Mit 17 Jahren erhielt mein Vater den "Marschbefehl“ nach Afrika, und leichte weißgraue Bekleidung. Damit landete er allerdings nie in Afrika, sondern an der Ostfront. Ausgebildet zum Panzerfahrer und im Rang eines Obergefreiten "kam“ mein Vater bis auf 130 Kilometer an Moskau heran, mit der 17. Panzerdivision, das war ein Großverband des deutschen Heeres, der deutschen Wehrmacht. Ende April 1945 sollte diese Panzerdivision von den russischen Truppen überrannt werden, und mein Vater in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Die sollte für ihn Jahre dauern.

In den Nächten des 24. und des 29. Junis 1943 wurden weite Teile Wuppertal-Elberfelds durch schwere Luftangriffe der Royal Air Force durch Bomben und Feuer zerstört. Tausende Menschen kamen dabei ums Leben, insgesamt wurden 126 Mal Bomben, Minen oder Brandbomben auf Wuppertal abgeworfen. Insgesamt starben in Wuppertal während des Zweiten Weltkriegs 6.500 Menschen.

Die Familie meines Vaters, seine Eltern, zwei Schwestern und der Bruder, wurde bei diesen Bombenangriffen getötet. Bei dem Versuch etwas vom Hab und Gut aus dem Haus zu retten, stürzte das brennende Dach über der Familie zusammen. Besondere Tragik bei diesem schrecklichen Ereignis war der Umstand, dass der Bruder meines Vaters, Max, gerade zwei Tage Landurlaub hatte. Er war Maschinen-Maat auf einem Kriegsschiff, und besuchte während des Angriffs seine Familie in Wuppertal. Die ältere Schwester meines Vaters sollte schon bereits im Freien noch von einem großen Ast eines brennenden Baumes vor dem Haus der Eltern erschlagen werden. Die Familie wurde symbolisch auf dem Gefallenen-Friedhof in Wuppertal beigesetzt. Immer wieder fragte sich mein Vater, ob wohl "alles“ schnell gegangen wäre, oder seine Liebsten qualvoll verbrannt seien. Fragen einer geschundenen Seele, die meinen Papa lebenslang bis zum Tode 2015 mit fast 92 Jahren quälen sollten.

Mein Vater, an der Ostfront, erhielt per Depesche die Nachricht von der Auslöschung seiner ganzen Familie, mit der in Aussichtsstellung, sich als einziger Überlebender einer Familie von der Frontlinie zurückziehen zu dürfen. Das war ein Führerbefehl, den mein Vater ausschlug, denn er wollte eigentlich nicht mehr leben damals, das sagte er zu mir.

Monate nach dem Tod seiner Familie erhielt mein Vater immer noch Feldpost, Briefe und kleine Päckchen der Verstorbenen. Mein Großvater wurde nur 44 Jahre alt, sein ältestes Kind, meine Tante Gertrud wurde 23 Jahre alt.

Tatsächlich im Großen und Ganzen körperlich unversehrt ging mein Vater 1945 in russische Kriegsgefangenschaft- er sollte erst 1948 aus dem Krieg nach Hause zurückkehren. Oder an den Ort der einmal Zuhause gewesen war. Mein Vater hat mir oft von den furchtbaren Entbehrungen in Kriegsgefangenschaft im Donezbecken, der heutige Donbass, erzählt.

Ein Absturz auf einer Talsohle im Bergbau und zwei Pilzvergiftungen gehörten dazu. Mein Vater wog bei seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft 48 Kilo, bei einer Körpergröße von 1,83 Meter. Noch zehn Jahre später würde meine Mutter kleine Granatsplitter, die im ganzen Körper meines Vaters herumwanderten, aus seinem Nacken ziehen.

Immer wieder sagte mir mein Vater, dass er die Gefangenschaft nur durch die Milde und das gute Herz einer russischen Ärztin überlebt habe. Hass auf Russen hat er nie gehabt. Hass auf die Engländer auch nicht. Hass auf den Krieg hatte er allerdings sein ganzes langes Leben lang, denn der Krieg und sein Trauma sollten ihn sein Leben lang begleiten. Oft träumte er davon.

Als Kind habe ich mich dafür geschämt, dass mein Vater mir bei der Kirmes keine bunten Blumen geschossen hat, obwohl er doch schießen konnte, glaubte ich jedenfalls. Ich konnte nicht verstehen, was er mir zu erklären versuchte. "Es gibt kein Kriegsspielzeug, eine Waffe ist gemacht um zu töten“, sagte mein Vater- da war der sanfte Mann unerbittlich.

1981 begleitete mich mein Vater zu Aktivitäten der Friedensbewegung, da war er ungefähr so alt wie ich heute. Er erzählte uns dann von der schlimmsten Sache der Welt, und einmal, daran erinnere ich mich so genau als wäre es gestern gewesen, nahm er meine Hand und sagte: "Kind, ihr müsst alles dafür tun, dass es nie wieder Krieg gibt, denn das ist die schlimmste Sache der Welt."

Die getötete Familie, die englischen Bomben, die russische Ärztin, die zerstörten Zukunftspläne, das lebenslange Trauma...

Was würdest Du heute an Deinem 100. Geburtstag wohl zu allem sagen, mein lieber Papa? Kriegen wir bald wieder ganz anständig die Hucke voll? Oder kriegen wir das nochmal hin? Eines weiß ich, Du würdest sagen: "Kind, tut alles, was ihr könnt, denn der Krieg ist die schlimmste Sache der Welt."

Wir möchten ganz besonders auf das gestern veröffentlichte Interview "Hier ist das "zensierte" Compact-Interview, vom 13. Juli 2024, mit der Kreml-Sprecherin Marija Sacharowa." hinweisen. Dieses Interview hat "Compact" geführt. Es ist eine sehr seltene Gelegenheit die russische Sicht und Seite zum Krieg in der Ukraine, Nordstream-Pipeline, Corona und vielen weiteren wichtigen Dingen zu hören. Wir danken "Compact" dafür. Das Interview ist seit gestern zensiert.

In diesem Zusammenhang weisen wir auch auf einen emotionalen Aufruf zum Frieden von Dr. Ronald "Ronny“ Weikl hin. Weikl ist stellvertretender Vorsitzender des MWGFD, Frauenarzt und Arzt für Naturheilverfahren. Wir haben seinen Aufruf auf "Meldungen“ unter "Appell für Frieden und Selbstermächtigung von Dr. Ronny Weikl" veröffentlicht. Ebenfalls möchte ich auf einen Artikel des sehr geschätzten stattzeitungs-Lesers und Friedensaktivisten Dr. Thomas Mantel hinweisen. Mantel ist zwischen 2010 und 2015 als ärztlicher Psychotherapeut mehrfach in der Ukraine gewesen. Sein Artikel erscheint in Kürze.



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Kommentare

Kommentar von Bernhard Meyer |

Ein bewegender Text.
(„... dass mein Vater mir bei der Kirmes keine bunten Blumen geschossen hat,“)
Ich möchte ihn neben anderen Texten gegen den Krieg weiterempfehlen wie z.B. den in der FAZ:
Jürgen Todenhöfer: Es gibt keine anständigen Kriege
Werde nun öfter hier reinschauen.
Herzlichen Gruß von nördlich der Alb

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